Gertrud Bing

Die Literaturwissenschaftlerin und Philosophin Gertrud Bing (1892-1964) wuchs in einer wohlhabenden jüdischen Familie in Hamburg auf. 1921 promovierte sie als eine der ersten Doktorandinnen an der 1919 gegründeten Hamburgischen Universität mit einer Arbeit über den „Begriff des Notwendigen bei Lessing. Ein Beitrag zum geistesgeschichtlichen Problem Leibniz-Lessing“ (Gutachter Robert Petsch und Ernst Cassirer). Bald darauf wurde sie auf Empfehlung Cassirers wissenschaftliche Bibliothekarin der von Aby Warburg initiierten Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg (K.B.W.). Von 1924 bis zu Warburgs Tod 1929 war sie dessen engste Mitarbeiterin..

Angesichts der Bedrohung der Bibliothek und der Beschäftigten durch die Nationalsozialisten sorgte Bing 1933 gemeinsam mit dem Direktor Fritz Saxl für den Transfer der K.B.W. von Hamburg nach London und später für deren Eingliederung als Warburg Institute (WI) in die Universität London. Im Exil unterstützte sie unermüdlich NS-verfolgte Wissenschaftler:innen. 1955 wurde sie Direktorin des WI und Professorin an der Universität London. Zahlreiche Wissenschaftler:innen suchten und erhielten ihren fachlichen Rat. Während sie kaum Werke unter ihrem eigenen Namen publizierte, hinterließ sie in den Arbeiten vieler Autor:innen sichtbare Spuren. 

1958 reiste sie auf Einladung von Kultursenator Biermann-Ratjen erstmals wieder nach Hamburg, um anlässlich der Wiederaufstellung von Aby Warburgs Büste in der Kunsthalle einen Vortrag zu halten. Sie beantragte in der Hansestadt Wiedergutmachung für verfolgungsbedingte Benachteiligungen und eine finanzielle Förderung ihrer geplanten Aby Warburg-Biografie. Ersteres wurde abgelehnt, letzteres nach zähen Verhandlungen bewilligt. Ein Jahr, nachdem erste Fördermittel aus Hamburg geflossen waren, starb Bing in London.