Gustav Oelsner
Gustav Oelsner (1879 – 1956) hat mit seinen funktionalen, gleichwohl ausdrucksstarken expressionistischen Ziegelbauten das Stadtbild Hamburgs dauerhaft geprägt und die revolutionäre Ästhetik des „Neuen Bauens“ mit sozialer Verantwortung im Städtebau verbunden. Er hat in Hamburg mit Weitsicht und Hartnäckigkeit den Elbwanderweg geschaffen, der von Neumühlen bis Wedel direkt am Ufer des Stromes verläuft, und dafür gesorgt, dass die großen alten Parks oben über dem Hochufer öffentlich zugänglich sind.
Oelsner wurde als Sohn deutscher Juden in Posen (Westpreußen) geboren. Seine Laufbahn als Architekt und Städtebauer führte ihn 1922 nach Altona, das damals noch eigenständige Nachbarstadt von Hamburg auf preußischem Staatsgebiet war. In einer Doppelwahl wurden 1924 der Sozialdemokrat Max Brauer zum Oberbürgermeister von Altona und der parteilose Gustav Oelsner zum Bausenator gewählt.
Die Doppelspitze machte sich daran, Altona zu einer eigenständigen Architektur und einem lichtdurchlässigen, menschengemäßen Wohnungsbau auch für die ärmere Bevölkerung zuverhelfen. Oelsners nüchterne, avantgardistische Architektursprache löste heftige Kontroversen aus. Dem Aufbruch des „Neuen Bauens“ machten denn auch die Nazis 1933 ein Ende. Sie entmachteten und verhafteten den Altonaer Magistrat, erteilten Oelsner ein Berufsverbot und versetzten ihn zwangsweise in den Ruhestand. Einige seiner Gebäude, deren Ästhetik ihnen als „undeutsch“ galt, verunstalteten sie mit traditionellen Versatzstücken.
Erst 1939, als die Nazis bereits schwerste Ausschreitungen gegen Juden verübt hatten, entschloss Oelsner sich buchstäblich in letzter Minute, ins Exil zu gehen. Sein langjähriger Freund Fritz Schumacher, ehemaliger Oberbaudirektor von Hamburg, vermittelte ihm eine Stelle bei der türkischen Regierung, die einen deutschen Fachmann für Städtebau suchte. Oelsner war nicht der einzige, der in der Türkei Zuflucht fand. Denn die Verfolgung der Juden durch die Nazis traf zeitlich mit der Gründung der türkischen Republik durch Kemal Atatürk im Jahr 1923 zusammen. Dies führte zu einer gezielten Anwerbung qualifizierter Fachkräfte aus dem deutschsprachigen Raum, die die Türkei in ihrer von Atatürk vorangetriebenen Europäisierung unterstützen sollten.
In Ankara und Istanbul bekamen deutsche Emigranten die Möglichkeit, in Ausübung ihres Berufes ihre materielle Existenz zu sichern – eine Chance, die Intellektuelle und Künstler in anderen Exil-Ländern meist bitter entbehrten. Im Gegenzug profitierte die junge türkische Republik von dem Wissen und der Erfahrung, die die aus Deutschland vertriebenen Akademikerinnen und Akademiker mitbrachten.
Gustav Oelsner genoss in der Türkei besonderes Ansehen. Er wurde ein hoch geschätzter Berater und galt bald als ausgezeichneter Kenner des Landes, der Respekt vor der dortigen Baukunst hatte und sich für verbesserte Lebensbedingungen der Bevölkerung einsetzte. Als Professor an der Technischen Hochschule in Istanbul konnte er sein Wissen und seinen sozial orientierten Ansatz an die nachfolgende Städtebauergeneration weitergeben. Er fasste Fuß in der Türkei und fühlte sich dort zunehmend zu Hause. Dennoch verweigerte er sich 1948 nicht der Bitte des ehemaligen Altonaer und neuen Hamburger Bürgermeisters Max Brauer, nach Hamburg zurückzukehren und am Wiederaufbau der zerstörten Stadt mitzuwirken. Auch nach seiner Remigration blieb er der Türkei und ihren Menschen verbunden.
Foto Startseite | Portrait: Gustav Oelsner ca. 1950. Quelle: Peter Michelis (Hg.),
Der Architekt Gustav Oelsner, Hamburg 2008
Foto: Oelsner auf einer Reise durch die Türkei, nach 1940.
Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Hbg
Foto: Koldingstraße und Koldinghof in Altona-Nord, 1928